Eine runde SacheDer Aalener Student Nil Orfeo Scheibe hat an den Bikes der deutschen Bahnrad-Teams für die Olympischen Spiele und die Paralympics mitgebaut

Das deutsche Bahnrad-Tandem Thomas Ulbricht (links) und Robert Förstemann holte bei den diesjährigen Paralympics in Paris Bronze. Über den Sieg hat sich auch der Aalener Student Nil Orfeo Scheibe (Mitte) gefreut. Foto: © Florin Boeck

Mo, 30. September 2024

Der Geruch von frisch geöltem Metall und der gleichmäßige Klang rotierender Räder füllen die Luft im Velodrom. Hier, wo Geschwindigkeit und Präzision aufeinandertreffen, lebt und atmet der Bahnradsport. Eine Disziplin, die sowohl körperliche Stärke als auch taktisches Geschick verlangt – und ein Sportgerät auf höchstem technologischem Niveau, um bei härtesten internationalen Wettkämpfen zu bestehen. Bei den diesjährigen Olympischen Spielen in Paris „erfuhren“ sich die mehrmalige Weltmeisterin Emma Hinze und ihre Teamkolleginnen Lea Sophie Friedrich und Pauline Grabosch die Bronzemedaille im Teamsprint auf Bahnrädern, an denen auch ein Student der Hochschule Aalen mitgebaut hat: Nil Orfeo Scheibe studiert im sechsten Semester  „Maschinenbau / Entwicklung: Design und Simulation“ und ist selbst leidenschaftlicher Radfahrer.

5000 bis 6000 Kilometer pro Jahr

Einer der wichtigsten Tage meines Lebens war, als ich Fahrradfahren gelernt habe“, sagt Nil Orfeo Scheibe. Für ihn stellt das Fahrrad das perfekte Fortbewegungsmittel dar: „Es bedeutet Freiheit, man bewegt sich aus eigner Kraft und es ist ein einfaches Objekt, für das man nicht viel braucht.“ 5000 bis 6000 Kilometer radelt er durchschnittlich im Jahr. Mal schnell an einem Tag über 250 Kilometer von Rostock nach Berlin? Kein Problem für den durchtrainierten 27-Jährigen, der schon ganz andere Touren gemeistert hat.

Zusammenarbeit mit Olympia-Sportlern

Dass ihn seine große Liebe zum Fahrrad mal zu einer Zusammenarbeit mit Olympia-Sportlern führen würde, hätte er sich vor ein paar Jahren nicht träumen lassen. „Das war eine einmalige Erfahrung, das ist schon verrückt“, sagt Scheibe und grinst fröhlich. Seit April absolviert der Student sein Praxissemester am Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten in Berlin, dem technologischen Zentrum für den deutschen olympischen und paralympischen Hochleistungssport. Hier hat er bei der Optimierung der Bahnräder für die deutschen Olympiasportler mitgearbeitet – von der Aerodynamik über die Materialauswahl bis hin zur Individualisierung der Lenker. Ziel ist es, ein Bahnrad zu schaffen, das nicht nur leicht und schnell ist, sondern auch extrem robust, denn schließlich muss es doch besonders hohen Kräften bei Beschleunigung, Richtungsänderungen und den Fliehkräften in Kurven trotzen. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit den Profi-Sportlern notwendig, um ein Rad zu entwickeln, das perfekt auf deren Bedürfnisse abgestimmt ist.

„Es ist fast wie Meditieren, ein bisschen wie Poesie“

„Kontakt zu den Rad-Profis zu haben, die man sonst nur aus Fernsehen und Social Media kennt und dabei zu unterstützen, ihre Räder zu verbessern – das war ein absolutes Highlight für mich“, erzählt Scheibe begeistert. Und da bekanntlich nach der Olympiade vor der Olympiade ist, wird schon fleißig an einem neuen Modell für die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles getüftelt. Auch hier ist der junge Mann in die Entwicklung eingebunden. Klar, dass er selbst schon Bahnrad gefahren ist. „Auf so einem Rad zu sitzen und in die Kurven rein- und rauszusausen, ist nochmal ein ganz anderes Gefühl von Geschwindigkeit. Man ist zu 100 Prozent mit dem Rad verbunden. Es ist fast wie Meditieren, ein bisschen wie Poesie“, schwärmt der Student.

Mix aus technischen Fragestellungen und Kreativität

Seit er mit vier Jahren sein erstes Fahrrad bekommen hat, sitzt Scheibe sozusagen fest im Sattel. Damals zog der gebürtige Flensburger mit seiner Familie nach Brasilien, in das Heimatland seines Vaters. „Wir lebten in einem Dorf rund zehn Kilometer von der nächsten Stadt entfernt, wo mein Vater aus Bambus Gewächshäuser herstellte und meine Mutter als Lehrerin an der Schule unterrichtete. Wir hatten kein Auto und haben fast alles Notwendige mit dem Fahrrad erledigt.“ Für ein Schulprojekt zum Thema Nachhaltigkeit und Fortbewegungsmittel baute er mit seinem Vater ein Fahrrad mit einem Bambusrahmen. „Das hat mir riesig viel Spaß gemacht und es war klar, dass ich auch beruflich etwas mit Fahrrädern machen wollte. Daher habe ich mich entschieden, nach Deutschland zurückzukehren, hier meinen Schulabschluss und anschließend eine Ausbildung zum Zweiradmechatroniker in Fahrradtechnik zu machen“, erzählt Scheibe. Und weil er sein technologisches Know-how weiter vertiefen wollte, sattelte er noch ein Studium oben drauf. Aktuell studiert er an der Hochschule Aalen im sechsten Semester „Maschinenbau / Entwicklung: Design und Simulation“. „Ich mag den Studiengang mit seinem Mix aus technischen Fragestellungen und Kreativität sehr. Auch die Nähe zu den Profs ist super.“ Das Studieren könne man fast ein bisschen mit dem Radfahren vergleichen. „Über weite Strecken läuft’s super, bergauf wird’s angstregend, alles tut weh und bergab fließt wieder alles“, sagt der Student und lacht. Wichtig sei das Weitermachen. Das Radfahren lehre Disziplin und habe ihm viel Kraft gegeben, auch im Studium durchzuhalten.

Neuer Plan: kleine Fahrradwerkstatt für Studierende und Mitarbeitende der Hochschule

Apropos Weitermachen: Natürlich hat Nil Orfeo Scheibe schon Pläne, wie es nach seiner Rückkehr aus dem Praxissemester weitergehen soll. Dann möchte der umtriebige junge Mann nämlich auf dem Campus der Hochschule Aalen mit Unterstützung der Verfassten Studierendenschaft eine kleine Fahrradwerkstatt für Studierende und Mitarbeitende ins Leben rufen und für die internationalen Studierenden Leihfahrräder zur Verfügung stellen. „Die Ostalb ist doch einfach perfekt fürs Radfahren“, grinst Scheibe.