Deutsche Wirtschaft in der Krise: Was tun?Prof. Dr. Ingo Scheuermann im Interview in der Wirtschaft Regional

Prof. Dr. Ingo Scheuermann spricht mit Wirtschaft Regional über die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland. Foto: © Graduate Campus | Sandro Bretzger

Fr, 21. June 2024

In der aktuellen Juni-Ausgabe der Wirtschaft Regional spricht der Dekan der Wirtschaftswissenschaften Prof. Dr. Ingo Scheuermann darüber, warum Deutschland im internationalen Vergleich zurückfällt und wie wir wieder auf Erfolgskurs kommen können.

Wirtschaft Regional: Das Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsweisen fällt mau aus. In Baden-Württemberg schrumpft die Wirtschaft. Andere Volkswirtschaften wachsen. Warum scheint die aktuelle Krise ein ausschließlich deutsches Phänomen zu sein?

Prof. Dr. Ingo Scheuermann: Die aktuellen Konjunkturdaten sind aktuell nicht besonders gut. Hier spielen mehrere Entwicklungen eine Rolle. Die deutsche Wirtschaft kommt aus einem Post-Pandemie-Boom, als die Auftragsbücher vieler Firmen sich rapide gefüllt haben. Nun entwickelt sich die Konjunktur zyklusbedingt wieder verhaltener. Warum wir im internationalen Vergleich zurückhängen, hat mit vielen Faktoren zu tun. Wir leisten uns eine Energiewende, die einfach sehr, sehr viel Geld kostet. Und Schlüsselbranchen wie die Automobilindustrie haben international an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt.

Wirtschaft Regional: Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?

Prof. Dr. Ingo Scheuermann: Diese negative Einstellung und die Angst vor dem Abstieg bringen uns nicht weiter. Wir sind Weltmeister darin, Probleme herbeizureden und uns in den Problemen zu suhlen. Mit diesem Mindset schafft man keine Aufbruchstimmung. Wir müssen endlich wieder die Ärmel hochkrempeln. Wir haben alles, um erfolgreich zu sein. Wir haben Spitzentechnologie. Wir haben extrem kluge Köpfe. Wir haben auch Gelder, die wir investieren können, als Volkswirtschaft und in Form von privatem Kapital. Wir müssen es nur tun.

Wirtschaft Regional: Kommt die Energiewende zu einer konjunkturell falschen Zeit?

Prof. Dr. Ingo Scheuermann: Rein konjunkturell gesehen kommt die Energiewende zur Unzeit. Betrachtet man die Gewinn- und Verlustrechnungen der Firmen, spiegeln sich dort die gestiegenen Energie- und Lohnkosten aber auch Ausgaben für die Infrastruktur. Hinzu kommt: In einer konjunkturellen Schwächephase ist die Investitionsbereitschaft geringer. Hätten wir ein Wachstum von drei bis vier Prozent, würden uns die Ausgaben für die Energiewende leichter fallen. Hinzu kommen multiple Krisen, die die Unsicherheit noch weiter steigen lassen.

Wirtschaft Regional: Die Energiewende kostet hunderte Milliarden Euro. Auf der anderen Seite beharrt die FDP als Regierungspartei auf die Schuldenbremse. Schließen sich diese Ziele nicht aus?

Prof. Dr. Ingo Scheuermann: Beide Ziele zu erreichen, ist in der Tat schwierig. Man hat zwei Hebel, einerseits das fiskalpolitische, politische Instrumentarium der Legislative, andererseits die monetären Möglichkeiten der Zentralbank, deren Zinserhöhungen die Investitionsbereitschaft hemmen, aber die Inflation wirkungsvoll bekämpft haben. Die Schuldenbremse ist momentan, ökonomisch und aus der Perspektive der nötigen Nachfrageimpulse gesehen, nicht der richtige Weg. Eigentlich müsste man antizyklisch Geld in die Hand nehmen und investieren.

Wirtschaft Regional: Mit der Schuldenbremse steht Deutschland im internationalen Vergleich recht alleine da. Fürchten Sie, dass da der Standort dadurch noch mehr ins Hintertreffen geraten wird?

Prof. Dr. Ingo Scheuermann: Es ist immer eine Frage der Alternative. In einer konjunkturellen Delle kann man als Regierung nur verlieren. Da ist es gleichgültig, wer in der Verantwortung steht. Wirtschaftspolitik ist in diesen Zeiten ein verdammt schwieriges Unterfangen und besteht aus unzähligen Abwägungen. Meine Empfehlung: Wir brauchen einerseits mehr Investitionsanreize des Staats, andererseits brauchen wir weniger Staat: weniger Vorschriften, weniger Bürokratie, damit die Unternehmen einfach mal machen können. Beim Bürokratieabbau haben andere Länder schnell sehr gute Erfolge erzielt, aber wir finden stets Gründe, nichts zu unternehmen und es beim Status quo zu belassen. Was ich mir generell von der Politik wünsche: mehr Transparenz, mehr Offenheit, mehr Bürgernähe, mehr Begeisterungsfähigkeit, mehr Storytelling – und auch den Mut, die Wahrheit zu sagen. Ansonsten werden wir diesen Ruck, der nötig ist, nicht hinbekommen.