Herausforderungen, Chancen und Veränderungen der Mechatronik der ZukunftInterview mit Prof. Dr. Bernhard Höfig und Prof. Dr. Markus Glück

(v.li) Prof. Dr. Bernhard Höfig und Prof. Dr. Markus Glück. | Foto: Nina Schaible

We, 22. September 2021

Alle Lebensbereiche der Menschen werden derzeit unmittelbar und umfassend durch den vielfältigen technologischen Wandel verändert. Dazu braucht es moderne Maschinen, Werkzeuge und Messtechnik. Mechatroniker:innen agieren nahe bei und für die Menschen. Sie schaffen die technischen Voraussetzungen, Assistenzsysteme und mobilen Endgeräte entwickeln hierfür die nötigen Softwarebausteine und Bedienfunktionen und haben Freude an deren Zusammenführung. Prof. Dr. Bernhard Höfig und Prof. Dr. Markus Glück beantworten Fragen zur Entwicklung der Branche, ihren Herausforderungen und Chancen und zum Einfluss der Mechatronik auf jede/n Einzelne/n von uns.

Was kann man sich unter Mechatronik vorstellen?

Die Mechatronik führt im Sinne eines ganzheitlichen systemtechnischen Engineerings relevante Fachkompetenzen des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, der Technischen Optik und der Informatik zusammen. Dies beinhaltet - als Fortentwicklung der früheren Feinwerktechnik - zum einen die Lösung der Integrationsaufgabe auf einem Funktionsträger bzw. in kleinsten Bauräumen sowie zum anderen die Orchestrierung des Zusammenspiels von Sensor-, Mess- und Regelungstechnik zur Entwicklung innovativer Funktionalitäten. Dazu gehört auch die Bereitstellung der nötigen Rechentechnik nahe am Ort des Geschehens. So entstehen Gesamtsysteme, die Messsignale aufbereiten, sich komponentenübergreifend vernetzen und sich durch neuartige, intuitive Bedienformen auszeichnen. Das ist zur Steuerung von Ablaufprozessen in großen Anlagen, von Gerätefunktionen oder zur Koordination von Roboterbewegungen von elementarer Bedeutung. Besonders weil die Anzahl der Steuergeräte, der Sensoren oder die Komplexität der Systeme, z. B. im Fahrzeug, wächst.

Gibt es Beispiele, wie sich die Mechatronik im Laufe der Jahre verändert hat?

Digitale Zwillinge, ganzheitliche Simulations- und Entwicklungsumgebungen und Künstliche Intelligenz haben ebenso Einzug in viele Bereiche erhalten wie die Zusammenführung und Auswertung mehrerer Sensorsignale und die Wahrnehmung der Einsatzumgebung durch Scanner und Kameras mit nachgelagerter Bildverarbeitung. Damit hat die Bedeutung des System Engineerings und der Verknüpfung mit der Informationstechnik zugenommen. Mechatroniker sind heute gefragte Generalisten, die Grundlagenwissen aus den Fachdisziplinen zusammenführen und disziplinübergreifend wirken. Sie wollen das Zusammenspiel der Komponenten verstehen und aktiv gestalten – vom Design über den Entwurf, die Konstruktion bis zur Fertigung und Erprobung.

Vor welchen neuen Herausforderungen steht die Mechatronik?

Die industrielle Produktion und die Entwicklung hierfür benötigter Maschinen, Werkzeuge und Messtechnik steht an einem besonderen Wendepunkt. Roboter erhalten vermehrt Einzug in die Werkshallen. Das führt dazu, dass die Steuerungs- und Programmierfunktionen benutzerfreundlicher gestaltet werden müssen. Hierbei müssen aus dem User Experience Umfeld abgeleitete Anforderungen für die Mensch-Maschine-Interaktion konkret realisiert werden. Beispielsweise weg von der klassischen Roboter- und Anlagenprogrammierung hin zu neuen Bedienformen und Lernfunktionen, Apps. Hierfür lernen Mechatroniker die Methodenansätze einer erfolgreichen Produktentwicklung im Studium kennen. Sie setzen sich in begleitenden Projekten auch mit neuen Formen der Zusammenarbeit in agilen Arbeitswelten auseinander, die sie in die Unternehmen transferieren müssen. Die Bandbreite reicht hier von Kreativitätstechniken, Makeathons, einem systematischen Anforderungsmanagement bis zu schnellen Tests und der Realisierung von Minimum Viable Products als frühe Prototypen. Letztere sind wichtige Bestandteile eines schnellen, stets aber durchdachten und im Ende wirkungsvollen Innovationsprozesses.

Was muss bei den Mensch-Maschine-Interaktionen unbedingt berücksichtigt werden?

Mechatroniker haben die Aufgabe, den Einstieg in ein neues Zeitalter der Mensch-Maschine-Interaktion und des sicheren Zusammenwirkens von Robotern, Maschinen und Produktionsmitarbeitern sowie das Vordringen der Servicerobotik in unseren Alltag aktiv zu begleiten. Dabei steht vor allem die Sicherheit im Vordergrund, aber auch die Stellung des Menschen – er muss weiterhin seine Stärken einbringen dürfen. Hierfür gilt es, ethische Leitplanken eines menschzentrierten Zusammenwirkens zu entwickeln und Grenzlinien im praktischen Einsatz zu definieren und einzuhalten.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung?

Autonom agierende, intelligente Produktionsanlagen, neue informationstechnische Services, Roboter, Elektromobilität, Batterie- und Ladetechnik, Antriebstechnik, Systemintegration, Sensor- und Kameraintegration in Fahrzeugen und autonomes Fahren – dies sind nur einige Beispiele, welchen Einfluss die Digitalisierung und Vernetzung derzeit schon haben. Damit steht die Entwicklung von Digitalisierungskompetenzen im Mittelpunkt einer soliden modernen Mechatronik.

Außerdem besteht maßgeblicher Handlungsbedarf zur Erreichung von Klimaneutralitäts- und Nachhaltigkeitszielen. Dabei genügt es nicht, Verhaltensweisen zu ändern. Technische Weiterentwicklungen wie wir sie aktuell im Zuge der Revolution der Mobilitätsformen oder der Energiewende benötigen, zeigen auf, wie wichtig Spaß an neuer Technik, interessierte Neugier, Mut und die Bereitschaft zur Erschließung neuer Arbeitswelten für die Gestaltung unserer Zukunft sind. Die Mechatronik trägt in diesem Kontext wie kaum eine andere Fachdisziplin zu einem nachhaltig ausgerichteten, ressourcenschonenden Betrieb von Fahrzeugen, Maschinen und Gebäuden sowie zur Energiegewinnung und -speicherung aus erneuerbaren Energiequellen bei. Sie schafft die Voraussetzung für alternative Antriebsformen, die Verringerung von klimaschädlichen Emissionen und die Nutzung erneuerbarer Energieformen.

Inwiefern beeinflusst das jeden Einzelnen von uns im Alltag?

Ob in unserem Zuhause, beim Einkaufen, in der Medizin, unserer Fortbewegung oder Kommunikation – alle Lebensbereiche der Menschen werden derzeit unmittelbar und umfassend durch den vielfältigen technologischen Wandel verändert. In den Firmen werden die Produktionslinien weiter automatisiert und die Digitalisierung ermöglicht neue Formen der intelligenten und zunehmend autonom, sich selbst steuernden Abläufe in Fertigung und Entwicklung.

Eine neue Generation an Leichtbaurobotern, auch „Cobots“ genannt, wird sich mit den Werkern ihr Arbeitsumfeld in den Werkshallen, aber auch in Kliniken, Pflegeheimen, Logistikzentren, Hotels und Supermärkten unmittelbar teilen. Wir werden diese Assistenzsysteme ganz selbstverständlich nutzen und sie zunehmend selbst bedienen.

Mechatronikerinnen und Mechatroniker agieren nahe bei und für die Menschen. Sie schaffen die technischen Voraussetzungen, Assistenzsysteme und mobilen Endgeräte entwickeln hierfür die nötigen Softwarebausteine und Bedienfunktionen und haben Freude an deren Zusammenführung. Es ist immer wieder ein begeisterndes Erlebnis, wenn man „auf Knopfdruck“ eine komplexe Anlage in Betrieb nimmt.

Hat sich das Studium dadurch verändert?

Das Mechatronik-Studium in Aalen passt sich stetig an die Bedarfslage und aktuellen Entwicklungen an. Im Vordergrund stehen heute neben der Vermittlung solider ingenieurwissenschaftlicher Grundlagen vor allem die Entwicklung der Systemkompetenzen. Damit ist das Wissen um das Zusammenwirken der realen Komponenten eines Gesamtsystems, z. B. eines Bearbeitungszentrums, eines Fahrzeugs oder eines Roboters, gemeint. Die Steuerungs- und Sensortechnik sowie Informatikgrundlagen rücken in den Vordergrund. Ebenso die Realisierung von gesamten Baugruppen der Antriebs- und Fertigungstechnik. Ein maßgeblicher Bestandteil des Studiums ist heute die Vermittlung von Digitalisierungskompetenzen und die Nutzung von Simulations- und Entwicklungsumgebungen sowie der Einsatz von CAD-Werkzeugen für Produktdesign und Modellierung.

Gibt es bewährte und bestehende Bestandteile?

Mechatroniker sind Systemingenieure. Sie führen Menschen zusammen, um mit ihnen gemeinsam konkrete Probleme zu lösen. Erfolgreiches Arbeiten im Team muss daher erlernt, mehrfach praktiziert und regelrecht verinnerlicht werden. Das projektbegleitende Lernen und Lehren ist hierfür ein wichtiger Grundstock, der durch selbständig zu bearbeitende Projektarbeiten in der zweiten Hälfte nutzbringend ergänzt wird. Hierbei wächst der Kontakt zu Partnerfirmen ganz bewusst.

Ein wichtiger Bestandteil bleibt das Praxissemester in der Mitte des Studiums. In diesem vertiefen die Studierenden zum einen die im Grundstudium erlernten Fähigkeiten in der betrieblichen Praxis und zum anderen lernen sie das aktuelle Einsatzumfeld der Entwicklung und Produktion mit seinen künftigen technologischen Anforderungen kennen. Das Praxissemester ist somit für die Studierenden eine wichtige Orientierungshilfe für die Wahl der Vertiefungsrichtung im Studium, aber auch für ihre spätere Berufswahl. Häufig entstehen wichtige Kontakte für die Zukunft.

Aber auch neue Formen der Vernetzung und Zusammenarbeit - interdisziplinäres Co-Creation - soll erlernt und geübt werden, zum Beispiel durch die Teilnahme an internationalen Makeathons oder themenbezogenen Innovationswettbewerben – häufig unmittelbarer Zusammenarbeit mit unseren Partnerfirmen.

Welche Eigenschaften sind für das Mechatronik-Studium von Vorteil?

Vor allem kreative, kommunikativ veranlagte und technikinteressierte Menschen finden bei diesem besonderen Anforderungsmix aus soliden ingenieurtechnischen Grundlagen, verlässlichen Softskills und ambitioniertem Umsetzungswillen Erfüllung im Beruf. Ein Beruf, der dadurch besonders abwechslungsreich ist und viele Möglichkeiten in verschiedenen Branchen, Firmenkulturen und Einsatzumfeldern eröffnet. Dazu gehören junge kreative Startups sowie traditionsreiche Bestandsunternehmen, die sich ja auch ständig den Herausforderungen eines dynamischen Marktes stellen müssen.

Wie verändern sich die Berufe der Absolvierenden?

Die Mechatronik-Absolvierenden haben glänzende Start- und Entwicklungschancen. Das liegt vor allem an dem stetigen Wachstum von Industrie und Wirtschaft, dem sich heute bereits abzeichnende demografische Wandel sowie dem hohen Bedarf an gut ausgebildeten Nachwuchskräften. Es gibt einen vielfältigen Bedarf in den aufsteigenden Themenfeldern Elektromobilität, Energiespeicherung, smarte Produktion sowie im Einsatze neuester Steuerungs-, Vernetzungs- und Bedientechnik. Die neuen Berufsbilder reichen von der Entwicklung über die Produktion, die Erprobung und Inbetriebnahme bis zur Projektierung und in den Vertrieb.

Von den Absolvierenden wird in den Firmen eine hohe Bereitschaft gefordert, in neue Gebiete vorzustoßen. Hierbei hilft den Absolvierenden sicherlich eine Affinität, interdisziplinär arbeiten zu wollen. Das Mechatronik Studium in Aalen schafft beste Voraussetzungen für einen erfolgreichen Start in einen dynamischen und abwechslungsreichen Beruf, bei dem man stetig mit neuen Herausforderungen und Chancen konfrontiert ist und für ambitionierte Aufgaben funktionierende Lösungsansätze entwickeln muss. Dabei sind Kreativität, Knowhow, unkonventionelle und innovative Ideen gefragt, deren anforderungsgerechte Umsetzung man dann über die Ziellinie, d. h. erfolgreich an den Markt bringen muss.

Was bieten die Absolvierenden der Arbeitswelt?

Die Absolvierenden sind Generalisten mit übergreifenden Fachkompetenzen und einem starken Standbein in den informations- und ingenieurtechnischen Anwendungsfeldern. Als Systemingenieure sind sie auf diese Weise mehr gefragt denn je. Sie sind Impulsgebende und Treibende der Veränderungen von Arbeitswelt, Produktion, Mobilität und Digitalisierung. Sie legen die Grundlagen für das autonome Fahren und Produzieren. Sie beherrschen Antriebs- und Steuerungstechnik, integrieren Sensoren, setzen Roboter bedarfsgerecht ein und modellieren deren Zusammenspiel virtuos in grafischen Entwicklungsumgebungen. Damit sind die mechatronischen Systemingenieure wichtige Gestalter der Zukunft, die sich auf ein Näher am Menschen und ein Weniger an Energie und CO2-Emissionen aktuell vorbereitet. Brandaktuell und sehr gefragte Fachkräfte dank ihrer soliden Fach- und ihrer praxisnahen Methodenkompetenzen!