Hochschule Aalen führt Studie zu Risiken von Infotainment-Anwendungen im Auto durchStudierende untersuchen Ablenkungsgefahr durch Touchbildschirme und Sprachregelung

Jährlich sterben mehr als 300 Autofahrer, weil sie durch die Bedienung von Infotainmentsystemen abgelenkt sind. Foto: © Hochschule Aalen

Tu, 27. July 2021

Ein schneller Blick auf den Bildschirm, das Aussuchen von Musik oder die Bedienung des Navis während der Fahrt: Eine Untersuchung des Allianz-Zentrums für Technik zeigt, dass mehr als 300 Fahrer jährlich sterben, weil sie während der Fahrt durch die Bedienung von Infotainmentsystemen im Auto abgelenkt sind. Die fehlende Aufmerksamkeit gegenüber dem Straßenverkehr wird zunehmend zum Problem, denn Drehregler verschwinden aus dem Cockpit und werden beispielsweise durch Touchbildschirme oder Sprachsteuerung ersetzt. Studierende der Hochschule Aalen haben im Sommersemester 2021 in einer Pilotstudie untersucht, welchen Einfluss die Nutzung von modernen Infotainmentsystemen auf Autounfälle hat.

Realitätsnaher Versuchsaufbau

47 Studierende der Studiengänge Augenoptik/Optometrie und Digital Health Management haben einen realitätsnahen Versuchsaufbau realisiert, um zu untersuchen, inwieweit Autounfälle durch Interaktionsprobleme mit modernen Infotainmentsystemen ausgelöst werden und welche Unterschiede es gibt. Die Nullhypothese: Es gibt keinen Unterschied zwischen Drehknopf, Touchscreen und Sprachsteuerung bei einer simulierten Nachtfahrt in Bezug auf die Dauer der Blickabwendung. „Mir ging es darum, Studierende im wahrsten Sinne des Wortes ‚betroffen‘ zu machen und sie zur eigenständigen Arbeit in Projektteams zu motivieren. Besonderer Dank geht an Dr. Judith Ungewiß, die Leiterin unseres Fahrsimulators, die ihre fachliche und menschliche Expertise im gesamten Semesterverlauf in dieses Projekt hat einfließen lassen“, sagt der betreuende Professor Dr. Ulrich Schiefer, Dozent im Studiengang Augenoptik/Optometrie und diesjähriger Lehrpreisträger der Hochschule Aalen sowie Augenarzt am Universitätsklinikum Tübingen.

Blickabwendung gemessen

Zur Untersuchung mussten Probanden in einem von den Studierenden realisierten Simulator-Setting Aufgaben während der Fahrt erledigen. Die Studierenden stoppten die Zeit während des Versuchs vom Start-Befehl bis zur Beendigung der definierten Aufgabe. Währenddessen wurde eine konstante Geschwindigkeit von 50 km/h und eine Einhaltung der Fahrspur angestrebt. Die Probanden wurden mittels einer Face Webcam aufgezeichnet, um die Blickabwendung zu messen. Das Ergebnis: Es gab einen deutlichen Unterschied zwischen den einzelnen Bedienelementen. Sprachsteuerung und Touchschreen beanspruchten zur Durchführung der Aufgabe eine längere Zeit als der Drehknopf. Die Studierenden konnten feststellen, dass die Durchführungsdauer bei Verwendung des Drehreglers im Median sieben Sekunden, beim Touchscreen neun Sekunden und bei der Sprachsteuerung – welche allerdings nicht mit einem Aktivierungssystem der neuesten Generation ausgestattet war – 23 Sekunden betrug. „Diese studentischen Pilottests sind eine erste Grundlage zum Design nachfolgender Studien in unserem Nachtfahr-Simulator an unserer Hochschule“, resümieren Prof. Dr. Ulrich Schiefer und Dr. Judith Ungewiß, die die Studie betreuten.

Vorbereitung auf spätere Berufstätigkeit

Studierende in reale, praxisrelevante Projekte einbinden, ihre Kommunikationsfähigkeit und Zusammenarbeit fächerübergreifend schulen und sie gleichzeitig auf die spätere Berufstätigkeit vorbereiten – dies beabsichtigten Schiefer und Ungewiß bei ihrer Aufgabenstellung. Die Studierenden erfüllten in elf Gruppen mit je einem Teamleiter in einem zeitlich festgelegten Rahmen ihre Aufgaben, beispielsweise das Erstellen eines Anforderungsprofils für den Messplatz, eines Versuchsplans, des Probanden-Aufklärungsmaterials, das Erarbeiten eines Ethikkommissions- und Versicherungsantrags, die Außendarstellung, Projektsteuerung, den Versuchsaufbau und Pilottest sowie die Auswertung und Präsentation. Sie empfanden das Projekt als wertvolle Erfahrung. Vanida Suebsuwan, Teamleiterin Präsentation, Jonas Bretzler, Teamleiter Projektsteuerung/ Außendarstellung und Tina Delling, Teamleiterin Anforderungsprofil/Messplatz sowie Katharina Geißler, Teamexpertin für augenoptische Fragen aus diesem Team, sagen stellvertretend für das gesamte Projektteam: „Die Aufgabenstellung und gewisse Richtlinien waren vorgegeben, wir waren aber frei in Ausgestaltung und Ausführung. Dies hat uns Verantwortung gegeben und macht uns umso stolzer auf das Ergebnis. Wir konnten durch das Projekt unsere sozialen und beruflichen Kompetenzen ausbauen und über uns hinauswachsen.“

Großer Einsatz

Der schöne Nebeneffekt in Zeiten von Corona: Sie konnten ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen durch das Projekt fächer- und semesterübergreifend besser kennenlernen. „Wir sind glücklich und beeindruckt zugleich, mit welchem Engagement und Einsatz die Studierenden diese Herausforderung im Rahmen einer komplett virtuellen Lehrveranstaltung angenommen und umgesetzt haben“, sind sich Schiefer und Ungewiß einig.