„Wir machen das Falsche perfekt“Umweltpionier Prof. Dr. Michael Braungart referierte an der Hochschule Aalen über das Cradle-to-Cradle-Konzept

Prof. Dr. Michael Baumgart, Miterfinder des „Cradle-to-Cradle-Prinzips", und Peter Lohnert (rechts) setzten sich beide leidenschaftlich für eine abfallfreie Wirtschaft ein. Foto: © Hochschule Aalen | Saskia Stüven-Kazi

Th, 21. November 2024

Energie sparen, Verzicht üben, Produktionsprozesse effizienter und weniger schädlich zu machen – für Prof. Dr. Michael Braungart klingen diese aktuellen Prinzipen von Nachhaltigkeit nicht besonders zielführend. Der Chemiker und Verfahrenstechniker hat eine andere Vision: Alle Produkte sollen so gestaltet werden, dass sie in Stoffkreisläufen funktionieren. Nach ihrer Nutzung sollen sie entweder vollständig abbaubar sein oder ohne Qualitätsverlust wiederverwertet werden können. Auf Einladung des Nachhaltigkeitsreferats der Hochschule Aalen sowie des Aalener Start-ups V4V stellte er das Cradle-to-Cradle-Prinzip („Von der Wiege zur Wiege“) vor, das er miterfunden hat.

Nachhaltigkeit oder Klimaneutralität hält Prof. Dr. Michael Braungart für die falschen Ziele. „Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir Bestehendes optimieren. Aber so machen wir nur das Falsche perfekt. Wir brauchen ein fundamental anderes Denken“, sagt der Umweltpionier und plädiert dafür, jedes Produkt neu zu denken und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Dinge müssten so gestaltet werden, dass sie nicht „weniger“ schädlich sind, sondern nützlich. Alles, was verschleißen kann – wie beispielsweise Schuhsohlen, Bremsbeläge der Autoreifen – sollten so konzipiert werden, dass sie biologisch abbaubar sind.

„Kürzlich habe ich mit meinen Studierenden Wasserproben aus der Rems entnommen – über die Hälfte der Mikropartikel bestand aus Reifenabrieb“, erzählt Braungart, der zum Wintersemester 2024/2025 eine Stiftungsprofessur an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd angetreten hat. Dabei könne man heute schon die Laufflächen von Reifen mit biologisch abbaubarem Material immer wieder erneuern, so dass man den Reifen weiter nutzen könne, weil ja in der Regel nur die obere Schicht verschleiße. Braungart setzt auf einen Kreislauf, bei dem Verbrauchsgüter wie Textilien oder Verpackungen von Anfang an so konzipiert sind, dass sie biologisch abgebaut werden können. Und Gebrauchsgüter wie Autos, Waschmaschinen oder Fernsehgeräte, die „technische Nährstoffe“ enthalten, den Nutzerinnen und Nutzern nur für eine bestimmte Betriebszeit ausleiht. „Unternehmen verkaufen dann nicht mehr das Produkt, sondern dessen Nutzung. Das ist viel sinnvoller“, erläutert Braungart. So könne beispielsweise ein Hersteller von Waschmaschinen eine bestimmte Anzahl von Waschladungen verkaufen und habe daher das Interesse, nur das beste Material zu verwenden. Diese „technischen Nährstoffe“ können dann nach Gebrauch wiederaufbereitet und in neuen Produkten verwendet werden. „Wenn wir Autos aus Autos herstellen, müssen wir auch keinen Schrott exportierten“, sagt Braungart. Letztendlich sei alles Nahrung – entweder biologische oder technische Nahrung.

Dieses Prinzip nennt sich „Cradle to Cradle“-Konzept („Von der Wiege zur Wiege). Entwickelt hat es Prof. Dr. Michael Braungart gemeinsam Ende der 1990er Jahre mit dem US-amerikanischen Architekten William McDonough. Braungart, der gebürtig aus Schwäbisch Gmünd stammt, studierte Chemie und Verfahrenstechnik und engagierte sich lange bei Greenpeace. Er ist Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer von EPEA, einem internationalen Umweltforschungsberatungsinstitut in Hamburg und lehrte viele Jahre an der Erasmus-Universität in Rotterdam und an der Leuphana Universität in Lüneburg. Für seine Arbeit erhielt der Umweltpionier zahlreiche Auszeichnungen wie zuletzt den Ehrenpreis des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2022. Einer seiner zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreiter für das Cradle-to-Cradle-Prinzip war ebenfalls für den Vortrag an die Hochschule Aalen gekommen: Peter Lohnert engagiert sich ehrenamtlich bei der C2C Regionalgruppe Stuttgart und stellte konkrete Beispiele aus Baden-Württemberg vor, die das C2C-Prinzip erfolgreich umsetzen. Im Anschluss hatten die Zuhörerinnen und Zuhörer die Möglichkeit, mit den beiden Referenten in einem Workshop potenzielle Beispiele zu erarbeiten, wie das Cradle-to-Cradle-Prinzip in Aalen und der Region umgesetzt werden könnte. „Für die Studierenden ist das auch eine tolle Option, sich als Entrepreneure zu entwickeln, weil unzählige Produkte nach dem C2C-Prinzip neu entworfen werden müssen“, so Lohnert.