Eine Brille für MasulStudierende der Augenoptik: Sehtests und Brillen für Flüchtlinge

Heiko Figura-Milde, Student der Augenoptik, sucht mit Masul nach einem passenden Brillengestell.

Fr, 27. November 2015

Der Kofferraum platzt aus allen Nähten: Sehtesttafeln, zwei Autorefraktometer, mehrere Pupillometer, Zentrierschablonen, Scheitelbrechwertmessgeräte und ein Koffer mit rund 200 Brillenfassungen – alles muss noch seinen Platz finden. Dann geht’s los Richtung Ellwangen, zur Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge (LEA). Dort bieten 15 Studierende des Studiengangs Augenoptik der Hochschule Aalen für einen Nachmittag Sehtests an und – bei Bedarf – das Anfertigen einer Brille.

Seit drei Wochen lebt Masul mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern in der LEA. Der 25-jährige Syrer ist mit seiner Familie aus dem völlig zerstörten Aleppo geflohen. Englisch spricht er nicht, aber mit Hilfe des Dolmetschers erzählt er schüchtern von der Flucht mit einem kleinen Boot und zu Fuß. Der junge Mann ist extrem weitsichtig und hat große Probleme mit dem Sehen in die Nähe. „Das sind schon recht sportliche Werte, da muss was gemacht werden“, stellt Heiko Figura-Milde fest. Gemeinsam mit Masul sucht der Student eine passende Brillenfassung aus. In der Augenoptischen Werkstatt der Hochschule Aalen werden dann die entsprechenden Gläser in die Fassung eingeschliffen. Und in einer Woche kann Masul seine Brille abholen – und endlich wieder ein Buch lesen.

Inzwischen hat sich der Gang gut gefüllt. Alle Stühle sind belegt, andere warten geduldig im Stehen, bis sie an der Reihe sind. An der Tür hängt ein Plakat. Ein Auge und eine Brille sind darauf abgebildet, „Sehtest“ steht dort in Englisch, Französisch, Arabisch und Albanisch. Derzeit leben 3600 Flüchtlinge in der LEA. „Viele klagen über Kopfschmerzen und Sehschwäche. Einige haben ihre Brille auf der Flucht verloren oder sie ist kaputt gegangen“, erzählt Sylvia Caspari, Geschäftsführerin der Diakonie im Ostalbkreis. Gemeinsam mit Reinhard Liebhäußer, dem Labormeister der augenoptischen Werkstatt der Hochschule Aalen, hatte sie die Idee, den Flüchtlingen Sehtests anzubieten. „Als Übung haben unsere Studierende im sechsten Semester einen so genannten Kundennachtmittag, bei dem sie den kompletten Ablauf einer Brillenversorgung von der Brillenglasbestimmung bis zur Abgabe der fertigen Brille durchführen“, erklärt Liebhäußer. „Der Vorschlag, für einen Teil der Übungen in die LEA zu gehen, kam bei den Studierenden gut an. Eine Studentin hat bei einem Augenoptiker ein Praktikum gemacht und uns so eine Spende von rund 200 Brillenfassungen vermittelt“, freut sich der Labormeister. Und durch das umfangreiche Glaslager in der augenoptischen Werkstatt können so neben den Fassungen auch die Gläser kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Unterstützt wird diese Aktion auch vom Verein „SINN-voll helfen“, der sich für mit Menschen mit Seh- und/oder Hörbehinderung engagiert.

Währenddessen macht Theresa Raible einen Sehtest mit Mustafa. Wie alt er sei?, möchte die Studentin wissen. „30“, scherzt der Syrer in gebrochenem Englisch, um später zuzugeben, dass er doch ein paar Jährchen älter ist. Mit Handzeichen signalisiert er der Studentin, in welche Richtung das Häckchen auf der Abbildung geht, die in vier Meter Abstand an der Wand hängt. Auch mehrere Dolmetscher eilen an diesem Nachmittag von Raum zu Raum. Neben Hanady Preuß, die für die Diakonie aus dem Arabischen übersetzt, hilft beispielsweise Raneem. Die 18-Jährige ist mit ihren Brüdern und ihrem Vater aus der Nähe von Damaskus geflüchtet. Bei der Flucht übers Meer seien sie fast gestorben. „Jetzt sind wir Gott sei Dank in Sicherheit“, erzählt die 18-Jährige in perfektem Englisch, das sie sich mit Hilfe von Songs und Filmen selbst beigebracht hat. Und freut sich, dass sie jetzt mit ihren Sprachkenntnissen weiterhelfen kann. Aber auch so klappt die Kommunikation an diesem Nachmittag zwischen den 15 Studierenden und den Flüchtlingen. „Das läuft astrein, es ist alles gut organisiert“, freut sich Reinhard Liebhäußer über die gute Arbeit seiner Studenten. „Das ist hier eine ganz gute Übung, unter erschwerten Bedingungen zu arbeiten. Hier lernen sie mehr als nur im Labor.“ Auch Sylvia Caspari zeigt sich beeindruckt: „Es ist toll, dass die Studenten bereit sind, ihre Zeit und ihr Engagement einzubringen. Die Begegnungen mit den Flüchtlingen sind das A und O und tragen auch nach außen zu einem besseren Verständnis bei.“

Auch wenn es inzwischen wie im Bienenstock zugeht, die Studierenden behalten die Ruhe. „Es ist doch cool, wenn man etwas macht, was ankommt und für einen guten Zweck ist“, sagt Simon Mecke, „das macht großen Spaß“. Und sein Kommilitone Heiko fügt hinzu: „Es ist schön, wenn man helfen kann.“ Am frühen Abend haben die 15 Studierenden mehr als 40 Flüchtlingen geholfen. Aber der Tag ist lange noch nicht zu Ende. „Jetzt geht es gleich weiter in die augenoptische Werkstatt. Sechs Flüchtlinge werden in eine andere Einrichtung verlegt, diese Brillen müssen also noch bis morgen fertig werden“, sagt Reinhard Liebhäußer. Da kommt ein älterer Mann vorbei, der vor kurzem mit seiner Familie aus dem syrischen Idlib geflohen ist. Er kreuzt die Hände über der Brust und verneigt sich.