Schifffahrt: Globale Störungen und ihre AuswirkungenStudentin der Hochschule Aalen untersucht in Abschlussarbeit die aktuellen Entwicklungen in der Seeschifffahrt

Do, 01. Dezember 2022

Im Laufe der Zeit hat sich die globale Schifffahrt stark weiterentwickelt. Immer größer werdende Schiffe umschiffen die Welt, die immer mehr Güter auf einmal vom Ausgangs- zum Bestimmungsort transportieren können. Bereits heute werden laut der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung weltweit über 80 % aller gehandelten Güter mithilfe von Fracht-, Container- oder Tankschiffen zu ihrem letztendlichen Zielhafen transportiert. In den letzten Jahren geriet die Seeschifffahrt jedoch immer wieder in die Schlagzeilen, wie die jüngsten Beispiele der „Ever Given“ im Suezkanal oder die Vorfälle im Asowschen Meer zeigen.


Störfaktoren in der Schifffahrt

In der Schifffahrtbranche spricht man von sogenannten Störfaktoren, wenn Probleme und Behinderungen in maritimen Transportketten auftreten. Laut Böhm zählen der Hafen, Krieg, Havarie und Blank Sailing zu den aktuell bedeutsamsten Störfaktoren in der Schifffahrt. Beim Hafen sind vor allem die Problematiken eines Tidehafens (Wasserstand ist hier von Flut und Ebbe abhängig; bestimmt die Zu- und Abfahrten von großen Schiffen) und die Überlastung von Seehäfen als Corona Nachwirkung zu nennen. Zu einem weiteren Störfaktor führte jüngst auch der Krieg zwischen der Ukraine und Russland, wie Böhm in ihrer Abschlussarbeit aufzeigt. „Wichtige Handelsrouten führen durch kriegsbetroffene Meeresgebiete im Asowschen und Schwarzen Meer. Passierende Massengutfrachter geraten dabei zwischen die Fronten, werden festgehalten oder können im verminten Seegebiet nicht anlegen, erklärt Jasmina Böhm Studentin der Betriebswirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen. Immer öfter führt auch die Havarie eines Schiffes zu einer großen Belastungsprobe für die globale Schifffahrt, wie aktuelle Bespiele dieses Jahr vom Rhein (liegen gebliebenes Containerschiff bei Oberwesel und leckgeschlagenen Kabinenschiff „Lady Diletta“ bei Rheinstetten) oder auch der Seeunfall der „Ever Given“ im Suezkanal zeigen. „Ist ein Schiff havariert, bedeutet dies, dass es Beschädigungen erlitten hat, die das Schiff manövrierunfähig machen“, wie die Bachelorandin Böhm berichtet. Ein weiterer bedeutender Störfaktor stellt das sogenannte Blank Sailing dar. „Blank Sailing beschreibt eine Leerfahrt oder ausgelassene Fahrt, die von der Reederei gestrichen oder abgesagt wurde. Dies kann entweder bedeuten, dass ein Schiff einen Hafen auslässt oder dass der gesamte Strang (Reihe von Häfen, die regelmäßig in gleicher Abfolge angefahren werden) gestrichen wird“, so Böhm.


Auswirkungen einer Störung des Transportablaufs

Die verschiedenen Störfaktoren auf den stark befahrenen Wasserstraßen führen meist zu weitreichenden Folgen. An erster Stelle sind hier für Böhm die großen Schiffsstaus vor den Häfen zu nennen. „Diese kommen zum Beispiel dadurch zustande, dass die für jedes einzelne Schiff geplanten Time Slots (Zeitfenster zum Be- und Entladen) ungenutzt verfallen sind, weil diese Schiffe aufgrund von Störungen nicht pünktlich am Hafen sein konnten. Nun wird eine komplette Neuplanung für die vor dem Hafen wartenden Schiffe notwendig,“ ergänzt Prof. Dr. Ulrich Morlock, der Betreuer von Böhms Abschlussarbeit. Weiterhin können sich die Abfertigungszeiten in den Häfen verschiedenster Störfaktoren deutlich verlängern und die Fahrpläne geraten außer Takt, was folglich zu längeren Verweilzeiten in und zu Staus vor den Häfen führt. “Die Corona-Pandemie hat gesagt, vor allem die Häfen an der chinesischen Küste und amerikanischen Westküste, aber auch deutsche Häfen werden vermehrt zu gewaltigen Nadelöhren und Problemstellen“, so Böhm. Werden die globalen Lieferketten gestört, ist zudem die Pünktlichkeit der Schiffe oftmals nicht mehr gegeben. Die Folgen sind dann meist Verzögerungen im gesamten Zeit- und Transportablauf sowie die stetige Verlängerung von Lieferzeiten. „Am weltgrößten Containerhafen in Shanghai stieg im März 2022 die Verweildauer für Container sogar zwischenzeitlich von 4,6 Tagen auf zwei Wochen und rund 300 Schiffe standen im Stau“, berichtet Böhm. Eine weitere bedeutsame Auswirkung, von der viele Unternehmen und Konsumierende schon betroffen waren, ist die Engpassproblematik bei gestörten Transportketten. „Lieferengpässe führen dazu, dass Montagebänder stillstehen oder die Produktion verlangsamt wird, wie prominente Beispiele von Audi und Mazda aus der Automobilbranche zeigen. Verbraucherinnen und Verbraucher spüren Lieferschwierigkeiten vor allem bei den leeren Regalen in Supermärkten oder im Einzelhandel“, komplettiert Böhm.

Wie Böhm aus einem Experteninterview mitgenommen hat, könnten uns die derzeitigen Lieferverzögerungen und Engpässe noch eine sehr lange Zeit beschäftigen. Der chinesische Markt ist für die Beschaffung im Allgemeinen für viele Länder sehr attraktiv, daran wird sich in absehbarer Zukunft wenig ändern, sodass die Transportvolumina mit dem Schiff nicht sinken werden. Es wird jedoch strukturelle Änderungen als Lehren der Corona-Pandemie in der Schifffahrt geben. Aufgrund dessen ist sich Böhm sicher, dass der Schifffahrt auch in der Zukunft ein hoher Stellenwert im Transport von Gütern zukommen wird.