Produkte aus anderer Perspektive betrachtetUser Experience-Studierende entwickeln Konzept für Blinde zur Bedienung einer Waschmaschine

Sehbehinderte verhelfen sich oft bei der Bedienung einer Waschmaschine mit erhabenen Klebefolien zur Orientierung. Die UX-Studierenden haben Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Bedienbarkeit herausgearbeitet. | Foto: Hochschule Aalen/UX

Mo, 28. März 2022

Dass moderne Produkte manchmal ganz schön komplex sein können und wir über eine gute Portion Bedienintuition und -verständnis verfügen müssen, ist allgemein bekannt. Doch wie steht es um die Bedienung alltäglicher Produkte und Maschinen durch behinderte Menschen? Die User Experience-Studierenden Daniel Güven, Max Göttinger, Mimoza Nuraj und Selina Schweikle haben sich in ihrem User Experience Projektes Projekt gefragt, welche Nutzungsanforderungen Sehbehinderte an die Bedienung einer Waschmaschine haben. Dazu traten sie mit dem Samocca Cafe in Aalen, der Nikolauspflege in Heidenheim sowie einem Mobilitätstrainer der Nikolauspflege in Kontakt. Studiengangsleiterin Prof. Dr. Constance Richter: „Das Projekt entstand sehr spontan in einer Diskussion mit Unternehmen und Studierenden. Es ist wichtig, sich auch auf besondere Zielgruppen zu konzentrieren. Von den Ergebnissen haben auch ‚normale‘ Nutzer etwas.“

Die Vorgehensweise der Studierenden: Zunächst erfolgte einer grundlegende Recherche zu bisherigen Produkten auf dem Markt und es wurden Produktanleitungen sowie die barrierefreie Nutzung von Haushaltsgeräten untersucht. Anschließend folgte die Planung der Contextual Inquiry-Sessions. Diese Art der Kontextanalyse ist eine Methode zur Messung und Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit und wird anhand einer Befragung und Beobachtung vorgenommen – in diesem Fall unter realen Bedingungen. Die Testpersonen führten einen Probewaschgang durch und zeigten, wie sie die Waschmaschine be- und entladen und das Flusensieb reinigen. „Gleichzeitig konnten wir gezielt Nachfragen stellen und so unser Verständnis für die Abläufe und Probleme aus nächster Nähe vertiefen“, sagt Studentin Selina Schweikle.

Die Erkenntnisse: Die blinden Personen wünschen sich, die Maschine selbstständig bedienen zu können sowie einen Überblick über den Status des Waschvorgangs zu haben. Außerdem sollte die Maschine Rückmeldung geben, wenn etwas beim Entladen in der Waschmaschine vergessen wurde oder verschiedenfarbige Kleidung beladen wird. Bei der Einstellung wünscht sich der User einen Überblick über jegliche Einstellungsmöglichkeiten und ein Feedback von der Maschine über das gewählte Programm, sowie über den Start und das Ende des Waschvorgangs. Bei Defekten oder notwendiger Wartung muss die Maschine den Sehbehinderten warnen.

Die Lösungsansätze der Studierenden: „Zum einen brauchen wir eine kontrastreiche Anzeige. Die Beschriftung der Programme, Schalter und weiteren Bedienelemente sollte für Seheingeschränkte deutlich lesbar und kontrastreich dargestellt sein“, sagt Güven. „Dazu ist eine deutliche Unterscheidung der Bedienelemente notwendig. Die Betätigung sollte wahrgenommen werden können, beispielsweise durch ein spürbares Einrasten der Drehschalterpositionen“, fügt Göttinger hinzu. Dazu sollte zur besseren Orientierung und Navigation pro Bedienelement nur eine Funktion dargestellt werden, darunter auch die Nullposition bzw. der Reset.

Nuraj: „Idealerweise gibt es eine Audio-Bedienungsanleitung via Knopfdruck. Dann bekommt der User die Bedienelemente erklärt, während er mit dem Finger darüber fährt. So kann er sich eine Orientierung verschaffen und Fehler vermeiden.“ Auch ein auditives Feedback, beispielsweise zum Trommelfüllstand, zu Fehlermeldungen oder vergessenen Wäscheteilen, wäre wünschenswert. Weitere Ideen: Pulverisierte Waschmitteldosen zur einfachen und sauberen Dosierung des Waschmittels und eine Farberkennung via Scan. Dies wäre auch für Farbenblinde wertvoll.

Insbesondere die Interviews mit den Betroffenen waren erfolgreich. Die Rückmeldung der Sehbehinderten: „Wir finden es toll, dass in diese Richtung etwas von der Hochschule Aalen gemacht wird. Als Randgruppe wird man sehr oft vergessen. Wir hoffen, dass wir mit unserem Mitwirken einen wichtigen Beitrag zur zukünftigen Veränderung leisten können.“ Die erarbeiteten Erkenntnisse lassen sich auch auf Menschen ohne Behinderung übertragen, die durch vereinfachte Bedienbarkeit eine größere User Joyabiliy erleben würden.Das Projekt hat allen viel Freunde bereitet. Zuhörer:innen und Projektteilnehmer:innen haben sich persönlich und fachlich weiterentwickelt. Aktuell arbeitet ein Bachelorand und zehn Studierende in einer Projektarbeit im Rahmen des Moduls Requirements Engineering an diesem Thema weiter.